Um zur Live Cam zu kommen, klicken Sie bitte auf die Vorschau
+ + + "Trab Aktuell" Abo-Bestellung: 030-7401245 oder abo@berlintrab.de + + +

Zu Besuch bei Paul Hagoort 

Er wohnt in der Nähe von Wolwega – in dem kleinen niederländischen Dorf Oldetrijne, wo es deutlich mehr Vierbeiner als Zweibeiner gibt. Kein Wunder, dass die Pferde zum Lebensinhalt von Paul Hagoort geworden sind. Die Redaktion von berlintrab.de besuchte den 35-jährigen Trainer auf seiner Ranch und führte dort ein langes Gespräch mit ihm.

Paul Hagoort mit seinem zehnjährigen Hund Job und der Hauskatze 

Der Name Paul Hagoort ist momentan in aller Munde – und das nicht nur in den Niederlanden oder Deutschland, sondern europaweit. Wie fühlt es sich an, zur internationalen Spitze zu gehören? 

Es läuft momentan tatsächlich sehr gut für unser Team. Aber wir werden trotzdem bescheiden bleiben, denn im Trabrennsport ändert sich die Situation schnell. Ich kenne nicht nur die guten, sondern auch die schlechten Zeiten. Wenn du viel Erfolg hast, ist plötzlich jeder dein Freund. Und wenn eine Krise da ist, sind die gleichen Leute sofort wieder weg. Das ist ein Auf und Ab und man sollte immer mit den Beinen auf dem Boden bleiben.  

Wie viele Pferde haben Sie denn augenblicklich im Training? 

Auf meiner Ranch gibt es 37 Boxen und die sind aktuell alle belegt. Aber wie schon gesagt – es gab auch andere Zeiten. Anfang 2011 hatte ich zum Beispiel nur zehn oder elf Pferde im Training.

Paul Hagoort auf seiner  900-Meter-Trainingsbahn, an die sich eine lange Gerade anschließt

Aber selbst mit einem kleinen Lot gab es stets spektakuläre Treffer und Ihr Name steht eigentlich immer für Qualität. In Ihrem Stall befinden sich ausnahmslos exzellente Pferde – geben Sie denn nur den Siegertypen eine Chance und die Verlierer scheiden aus? 

Ich möchte für die Besitzer und für mein eigenes Team viel erreichen. Das Wichtigste ist die Ehrlichkeit im Umgang miteinander. Ein Trainer merkt es meist sehr schnell, ob ein Rennpferd nur begrenzte Möglichkeiten hat. Dann macht es doch überhaupt keinen Sinn, Märchen zu erzählen, dass sich dieses Pferd eines Tages zum Seriensieger entwickeln wird. Nein – meine Besitzer sollen stets wissen, woran sie sind. Denn ich will mit ihnen zusammen große Ziele verwirklichen und hoch dotierte Rennen gewinnen und nicht nur einen prall gefüllten Stall voller Problemfälle führen. 

Paul Hagoort vor seinem Pferdetransporter mit dem Gerrits Recycling Emblem

Obwohl Sie selbst mit Problemfällen großartige Erfolge gefeiert haben: Stichwort Zar As, der Sieger des Deutschen Traber-Derbys 2009. 

Stimmt, ich habe niemals ein verrückteres Pferd kennengelernt – völlig irre im Kopf. Er war schon zweijährig so durchgedreht, dass sein damaliger Trainer Hugo Langeweg ihn an die Besitzerfamilie Gerrits zurückgab, nachdem er sieben oder acht Sulkys zertrümmert hatte. Was genau die Ursache für Zar As’ Ungebärdigkeit war, habe ich auch nie herausgefunden. Im Nachhinein erscheint es mir wie ein Wunder, dass es tatsächlich mit dem Derby-Sieg geklappt hat.

Paul Hagoort (links) und Robin Bakker

Ihre aktuellen Leistungsträger scheinen ganz anderer Natur zu sein. Clint W Boko, der niederländische Derby-Sieger 2012, verfügt über ein beeindruckendes Phlegma und ist die Ruhe in Person. 

Der Hengst ist unwahrscheinlich ausgeglichen. Wenn er nicht gerade durch ein paar hübsche Stuten abgelenkt wird, steckt der Braune am liebsten alle Viere von sich und schläft auf der Koppel friedlich vor sich hin. Aber sobald Clint W Boko vor den Sulky gespannt wird, explodiert er vor Leistungsbereitschaft. Es macht total Spaß, mit ihm zu arbeiten. 

 

Clint W Boko in der Waschbox

Sein Start-Ziel-Sieg in Vincennes beim Vorlauf zum Grand Prix l’U.E.T. war grandios. Bei dem mit über 400.000 Euro dotierten Finale am Sonntag in Solvalla werden die Gegner ihn und seinen Fahrer Robin Bakker im Visier haben. Wie schätzen Sie Clint W Bokos Chancen ein? 

Über den Startplatz zwei brauchen wir uns nicht zu beklagen – da der Hengst sehr gut zu regulieren ist, wird Robin auf den ersten Metern des Rennens sicherlich gleich eine gute Lage mit ihm finden. Dass der Hengst in Paris von der Spitze aus gewann, bedeutet aber überhaupt nicht, dass Robin ihn mit aller Macht nach vorne steuern wird. Ganz im Gegenteil – Clint W Boko ist nämlich im Speed noch viel besser. Wir treten also mit viel Optimismus in Solvalla an und hoffen, dass wir am Ende unter den ersten Vieren sind. Die Reise nach Schweden geht sehr ruhig vonstatten. Clint W Boko wird schon am Donnerstag nach Jägersro transportiert und legt dort eine ausgiebige Verschnaufpause ein. Dann geht es weiter nach Stockholm. 

Robin Bakker und Clint W Boko

Clint W Boko ist nicht der einzige – die Qualität Ihrer Schützlinge ist imponierend. Robert Bi gewann am Sonntag den Bayern-Pokal in München, der bisher ungeschlagene Tiger Woods As zuvor das Derby in Berlin. Wer ist der Beste?  

Diese Frage kann ich nicht beantworten – es wird sich alles erst zeigen. Denn jedes Pferd bringt ganz individuelle Voraussetzungen mit. Tiger Woods As ist vom Körperwuchs her ein Riese, ein richtiges Schlachtschiff. Der Hengst ist noch gar nicht ausgereift. Der Braune wird am 20. Oktober beim St.Leger in Gelsenkirchen antreten und im November eventuell noch ein Rennen in Oslo bestreiten. Aber Letzteres ist noch nicht einmal sicher – vielleicht bekommt er auch gleich nach dem St.Leger wieder eine Pause. Wir geben ihm für seine Entwicklung alle Zeit der Welt. Denn ich glaube, Tiger Woods As hat das Zeug dazu, eines Tages auf allerhöchstem Niveau zu agieren. Der Hengst verfügt über eine unwahrscheinliche innerliche Ausgeglichenheit. Ich werde nie vergessen, wie er sich unmittelbar vor dem Start zum Derby präsentiert hat, als wir noch schnell etwas an seinem Beschlag geändert haben. Er stand schon komplett im Geschirr und hatte den Scheck auf. Andere Pferde sind in einer solchen Situation total nervös, aber Tiger Woods As war die Ruhe in Person.  

Clint W Boko hat genau das gleiche Phlegma – aber ansonsten ist er ein völlig gegensätzlicher Typ. Denn mit seinem Stockmaß von nur 156 Zentimetern ist er beinahe schon ein Zwerg. Als Zweijähriger sah Clint W Boko noch aus wie ein Pony und sein heutiger Besitzer war beinahe erschrocken, als er ihn das erste Mal gesehen hat. Aber man muss sich nur eine einzige Minute in den Sulky von Clint W Boko setzen – dann begreift man sofort, wen man vor sich hat. Dieses Pferd ist unglaublich gut. Der Hengst verfügt über eine perfekte Aktion und einen genialen Rennkopf. Sein allergrößter Fan ist mein vierjähriger Sohn Jordy. Immer wenn Clint W Boko aus der Waschbox kommt, steht Jordy schon da und wartet darauf, ihn trockenzuführen.

 

Paul Hagoort und Tiger Woods As beim Training

Der Derby-Sieger mit seinem Pfleger Johan Hopman

Das klingt ja so, als ob Ihr Filius eines Tages auch Trabrennsportler wird. 

Das kann ich nicht sagen, aber eines ist klar: Ohne die Unterstützung meiner Familie wäre das alles gar nicht möglich. Meine Frau Kim ist nicht nur die Mutter von Jordy und seiner sechs Monate alten Schwester Frederique, sondern sie ist auch meine berufliche Partnerin. Wir begegnen uns auf Augenhöhe, denn Kim hat selber eine komplette Trabrennausbildung absolviert. Ich bewundere es jeden Tag, mit welchem Elan sie die Sachen anpackt. Denn wir sind ansonsten ein recht kleines Stallteam mit nur drei oder vier weiteren Leuten. Ähnlich wie bei den Pferden setze ich auch bei der Auswahl meiner Mitarbeiter mehr auf Klasse als auf Masse. 

Paul Hagoort und Robin Bakker mit ihren Stallteam-Kollegen Agnes Beerda, Marco Veenstra und Johan Hopman

Zu diesem Team gehört natürlich auch Robin Bakker, der sechs Tage in der Woche in Ihrem Stall arbeitet. Er ist sich nicht zu schade, die Stallgasse auszufegen oder die Boxen zu säubern. Und er ist auf dem Weg, einer der besten Fahrer in Europa zu werden. Was schätzen Sie besonders an ihm? 

Ich kenne ihn schon, seit er zwölf war. Robin ist unheimlich diszipliniert. Er lässt sich von den Gegnern nie aus der Ruhe bringen und behält immer den Überblick. Robin setzt die Pferde am liebsten im Speed ein und ist alles andere als ein Hauruck-Fahrer. Er würde ein Pferd nie überfordern und weiß ganz genau, dass nicht nur das Heute sondern auch das Morgen entscheidend ist. Denn was ist ein Sieg wert, der über die Leistungsgrenze eines Trabers hinaus geht und das Tier missachtet? Gar nichts! Er ist der Anfang vom Ende. Nur wenn ein Fahrer sein Pferd und dessen Wesen und Sensibilität respektiert, wird er selber auf Dauer Erfolg haben. 

Robin Bakker und Mustang's Sally

Fleißiger Jährling: Robin Bakker mit dem auf der Mariendorfer Auktion für 36.000 Euro versteigerten Ferrari Kievitshof

Und wie lautet Ihr eigenes Erfolgsgeheimnis als Trainer? Was machen Sie anders als Ihre beruflichen Kollegen? 

Es gibt kein Geheimnis. Ich glaube, ich profitiere von meiner Erfahrung und einer sehr guten Ausbildung. Mein Großvater hat Pferde gezüchtet, er nahm mich schon als kleines Kind zur Rennbahn mit. Ich habe bereits als Teenager im Stall eines Amateurfahrers mitgeholfen. Danach folgte dann die dreijährige Lehrzeit bei Hennie Grift, Wim Duivenvoorden und Arnold Mollema. Als ich das erste Mal im Sulky saß, habe ich gewusst: Das wird eines Tages mein Beruf! Ich habe dann zwar später erkannt, dass es bessere Fahrer gibt als mich und wurde stattdessen 2003 selbstständiger Trainer. Aber aus der Zeit als Nachwuchsmann habe ich viel mitgenommen. Ganz besonders wichtig war, dass ich mich im Auftrag von Profis wie Cees Kamminga und Arnold Mollema auf das Einbrechen von Jährlingen konzentrieren konnte. Dabei lernt man unwahrscheinlich viel über den Charakter der Pferde.

Paul Hagoorts Mischlingshund Job nimmt erst ein entspannendes Bad

Und danach rennt er mit dem Derby-Sieger Tiger Woods As um die Wette 

Mit diesen Erfahrungen im Handgepäck erfolgte Ihr Aufbruch vom kleinen friesischen Oldetrijne aus in die weite Welt. Die Bahnen in Deutschland und Frankreich sind Ihre zweite Heimat geworden und Sie sind stets auf Reisen. Was ist der Unterschied, wenn man in Wolvega oder in Vincennes an den Start geht? 

Es ist natürlich toll, wenn man in Paris erfolgreich abschneidet. Aber Oldetrijne bleibt meine Heimat und auch das Geschehen auf den deutschen Rennpisten ist mir mächtig ans Herz gewachsen. Ich bin nur sehr betrübt darüber, dass die Niederlande und die Bundesrepublik – vielleicht auch gemeinsam mit einem Land wie Belgien – auf dem trabrennsportlichen Sektor nicht stärker zusammenarbeiten. Ich kann das überhaupt nicht verstehen, denn im Grunde genommen sind wir doch eine Familie. In Dinslaken und Gelsenkirchen findet keine einzige Veranstaltung ohne Holländer statt und das Publikum in Wolvega freut sich riesig über die zahlreichen deutschen Gäste. Wenn die Traberfans dann aber in ein Wettbüro gehen oder online spielen, machen sie lange Gesichter, denn statt auf die Rennen in ihren Nachbarländern müssen sie plötzlich auf irgendwelche Galopper in Südafrika oder den USA setzen. Das finde ich geradezu pervers. Den deutschen und holländischen Trabersport verbinden viele Gemeinsamkeiten – im Rennen sind wir Konkurrenten, aber privat sind wir Freunde. Nun wird es endlich Zeit, dass die verantwortlichen Funktionäre nachziehen. Wir sollten die Schönheit unseres Sports gemeinsam darstellen und vermarkten – durch länderübergreifende Jackpots usw. wird es dann auch für das wettende Publikum interessant! 

Das kleine Oldetrijne ist ein wichtiger Ort auf der Weltkarte des Trabrennsports

Wir danken Ihnen für das Interview und wünschen Ihnen und Robin Bakker für den Grand Prix l’U.E.T. viel Glück. Wie sehr stehen Sie vor solch einem wichtigen Rennen eigentlich unter Druck? 

Ich bin dann schon ein bisschen nervös und wenn etwas richtig schief läuft, werde ich auch stinkig. Aber ich versuche, das nicht an meiner Umwelt auszulassen. Egal, wie ein Rennen ausgeht – das Leben geht weiter und man hat die Chance, aus den Erfolgen und Niederlagen zu lernen.  

Ich werde mich immer an die Worte erinnern, die mir mein Vater mit auf den Weg gegeben hat, als ich ein junger Mann war. Heute fährt er manchmal spontan unseren Pferdetransporter zu den Bahnen und es macht ihm genauso wie meiner Mutter, die sogar unsere Rennstall-Website pflegt, richtig Spaß. Aber damals war er strikt dagegen, dass ich den Sulkysport als Beruf auserwähle. Er machte sich – wie Väter nun mal sind – große Sorgen um seinen Sohn und fügte sich erst, als mein Entschluss unumstößlich feststand. Und dann sagte er: „Okay Junge, tue es. Aber Du musst mir eines versprechen: Gib immer alles, um im Beruf der Beste zu sein. Dieses Ziel wirst Du vielleicht niemals im Leben erreichen – aber Du musst es trotzdem jeden Tag aufs Neue versuchen!“